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Foto: Matthias Friel
Zahlreiche und besonders der Soziologie nahestehende Disziplinen widmen sich seit einigen Jahren verstärkt dem Thema „Verletzbarkeit“ und damit verbundenen Fragen. Die Rede von Vulnerabilität und Verletzbarkeit ist längst zu einem hochumstrittenen Politikum geworden, das unser Selbst- und Weltverhältnis berührt. Die Soziologie selbst tut sich indes ausgesprochen schwer damit, im Anschluss an den interdisziplinären Vulnerabilitätsdiskurs eigene Forschungsperspektiven zu entwickeln. Zwar ist man auch hier zuletzt ein wenig aufmerksamer auf das Thema geworden, wohl auch unter dem Eindruck multipler Krisendiskurse, unübersehbar gewordener sozialer Spannungen und einer wachsenden gesellschaftlichen Sensibilisierung für diverse Formen von Verletzbarkeit (K. Brown 2011; K. Brown et al. 2017; P. Brown 2022; Hentschel und Krasmann 2020; Nungesser 2019a, 2019b). Besonders die allgemeinsoziologisch orientierte Forschung jedoch hat bislang kaum ernsthaft versucht, den Verletzbarkeitsbegriff als gesellschaftsanalytisches Konzept fruchtbar zu machen. Ein Grund hierfür könnte sein, dass der Begriff bislang sehr unterschiedlich, teils unsystematisch und nicht selten auch in explizit normativer Absicht verwendet wird, weshalb er einigen für eine differenzierte Gesellschaftsanalyse ungeeignet erscheinen mag.
In dem Seminar wird es darum gehen, diese Leerstelle in der Allgemeinen Soziologie kritisch zu reflektieren und sich mit der Frage zu beschäftigen, inwiefern der Zusammenhang von „Verletzbarkeit und Gesellschaft“ als grundlegend für die Beschreibung gegenwärtiger Verhältnisse gelten kann. Dabei stehen sowohl klassische Seminardiskussionen auf Grundlage unterschiedlicher Textlektüren als auch eigene Textbeiträge der Studierenden und deren gemeinsame Diskussion im Mittelpunkt. Erprobt werden soll zudem ein besonderes Gesprächsformat, das mit Detlef Horster (1994) als Sokratischer Dialog bezeichnet werden kann und das sich im Zusammenhang mit dem Thema „Verletzbarkeit“ als besonders fruchtbar erweisen dürfte.
Brown, Kate (2011), „‚Vulnerability‘: Handle with Care“, Ethics and Social Welfare, Jg. 5, H. 3, S. 313–321.
Brown, Kate/Ecclestone, Kathryn/Emmel, Nick (2017), „The Many Faces of Vulnerability“, Social Policy & Society, Jg. 16, H. 3, S. 497–510.
Brown, Patrick (2022), On Vulnerability. A Critical Introduction, London/New York: Routledge.
Hentschel, Christine/ Krasmann, Susanne (Hg.) (2020), „Exposure“. Verletzlichkeit und das Politische in Zeiten radikaler Ungewissheit, Bielefeld: Transcript.
Horster, Detlef (1994). Das Sokratische Gespräch in Theorie und Praxis. Opladen: Leske & Budrich.
Nungesser, Frithjof (2019a), „Folterbarkeit. Eine soziologische Analyse menschlicher Verletzungsoffenheit“, Zeitschrift für Soziologie, Jg. 48, H. 5–6, S. 378–400.
Nungesser, Frithjof (2019b), „Die Vielfalt der Verletzbarkeit und die Ambivalenz der Sensibilität“, Zeitschrift für Theoretische Soziologie, Jg. 8, H. 1, S. 24–37.
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