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Foto: Matthias Friel
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Die wichtigste Einsicht dieses Hauptwerks von Arendt besteht in der These, dass die westliche Moderne seit der Neuzeit nicht an einer Selbstentfremdung, wie im ganzen ideologischen Spektrum vom Existentialismus bis zum Marxismus angenommen wurde, sondern an einer Weltentfremdung leide. Arendt spielt auf die „Weltoffenheit des Menschen“ (Max Scheler) an. Obgleich sie sich nicht auf den Streit für oder wider eine Wesensbestimmung des Menschen einlässt, entwickelt sie doch eine historische Anthropologie des Abendlandes, die sie an der strukturellen Grundbedingtheit des menschlichen Lebens, seit der römischen Antike „conditio humana“ genannt, worauf der englische Titel „The Human Condition“ (1958) direkt anspielt,.ausrichtet. Die Grundbedingtheiten (wie Natalität, Mortalität, Pluralität) stellen menschliches Leben grundsätzlich in Frage, worauf es durch Grundtätigkeiten (Vita activa) antwortet, deren Grenzen reflexiv in den Formen der vita contemplativa thematisiert werden. In diesen Grundstrukturen des Vergleichs geschichtlicher Epochen fallen dann bestimmte Tendenzen auf, so zur Primatverkehrung von der vita contemplativa zu der vita activa, innerhalb letzterer vom Handeln über das Herstellen ins Arbeiten, vom Öffentlichen ins Private, und schließlich das Unterlaufen und Verwischen aller konstitutiven Unterscheidungen personalen Lebens in probabilistischen Prozessen, in denen jemand niemand wird. – Diese historisch-anthropologische Lektüre steht im willkommenen Streit mit anderen Lesarten von Arendts Werk (als Nostalgie der Antike, als heideggerianische Ursprungserhellung, als messianisches Erinnern, als Vorarbeit zur Theorie des kommunikativen Handelns etc.). Vielleicht war Arendt weltoffener als bislang angenommen?
Arendt, H., Vita activa oder Vom tätigen Leben, München-Zürich (Piper Verlag) 1967
Zur Einführung:
Benhabib, S., Hannah Arendt. Die melancholische Denkerin der Moderne, Frankfurt a. M. (Suhrkamp Verlag) 2006
Krüger, H.-P., Die condition humaine des Abendlandes. Philosophische Anthropologie in Hannah Arendts Spätwerk, in: Ders., Philosophische Anthropologie als Lebenspolitik. Deutsch-jüdische und pragmatistische Moderne-Kritik, Berlin (Akademie Verlag) 2009, S. 183-207
Sitzungsplan
4 LP für aktive Mitarbeit und Vortrag, der auf ca. 5 S. verschriftlicht wird oder andere äquivalente Leistung nach Absprache
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