PULS
Foto: Matthias Friel
„Diese Hand ist allerhand. / Meine Hand ist sie genannt.”
Diesen kleinen Reim schreibt Walter Benjamin mit seiner leicht katatonischen Handhaltung auf ein Stück Papier, das man später in seinen Gesammelten Schriften unter den „Drogenprotokollen” wiederfinden wird.
In dieser „Schreibszene” (Campe) sehen wir ihn als ein sich selbst erforschendes Subjekt, das zum Objekt eines ästhetischen Wahrnehmungsexperiments wird: die schreibende Hand zeichnet Buchstaben, die die Stimme spricht. In dieser Szene formieren sich skizzierte Schrift-Bilder, die in späteren Schriften zur Theorie der Aura und des Ornaments ausgearbeitet werden.
Benjamins schnörklige Aura-Wirbel verweisen dabei nicht nur auf eine Geschichte der Linie und des „disegno” seit Leonardo da Vinci, die später unter der „figura serpentinata” (W. Hogarth) auch als Schönheitslinie („line of beauty”) kunsttheoretisch verhandelt wird, sie zeigen vor allem den Überlebenskampf der schreibend-zeichnenden Hand im Angesicht ihrer Verdrängung durch die tippenden Finger auf der Schreibmaschine. Hier gewinnt eine medienhistorische Zäsur an Kontur, die man als Materialität und Genealogie des Schreibens (Reihe im Fink Verlag) im Sinne des „Handgeschriebenen” (D. Giuriato) deuten könnte.
Benjamins „Verzettelte Schreiberei” (Wizisla) ist nicht das einzige produktionsästhetische Schreibparadigma zwischen Hand, Stift und Papier, das hier zum Forschungsgegenstand erhoben wird. Vielmehr schreibt es sich in ein Feld von Avantgarde-Literatur ein, das ab 1900 schon fast zur Konjunktur wird.
Das Seminar, das sich vor allem auch als experimentelles Projekt versteht, möchte die Beziehungen des Handgeschriebenen in der Schreibszene in Beziehung setzen zur Zeichnung und zum Skizzieren in der Mal-Szene. Leonardos eigener theoretischer Ansatz zum „unvollendeten Entwurf” soll hier als genealogischer Startpunkt dienen, um die unterschiedlichen Ausprägungen zwischen Schreib- und Bildkulturen vor dem Hintergrund einer sich verändernden Medienlandschaft in der Moderne international zu erforschen.
Im Fokus unseres Interesses stehen vor allem folgende Autorinnen und Autoren, Künstlerinnern und Künstler: Paul Valéry, Walter Benjamin, Ilse und Pierre Garnier, Oliverio Girando, Juana Borrero, Unica Zürn, Henri Michaux, John Cage, Vladimir Mayakovsky. Die Liste ist erweiter- und modifizierbar. Insbesondere Studentinnen und Studenten, die selbst künstlerisch tätig sind, können im Rahmen des Seminars ihre Arbeit vorstellen und zur Diskussion stellen.
Die Forschungsliteratur wird in der ersten Sitzung vorgestellt. Einen ersten Überblick über das Thema findet Ihr hier: Schreibszenen, Eine Genealogie des Schreibens
Aktive Teilnahme + Projektvorstellung nach Wahl
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