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Foto: Matthias Friel
Das Seminar beschäftigt sich mit den Funktionen der Tierdarstellung im literarischen Text. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Anthropomorphisierung: Das Tier wird zur Projektionsfläche des Menschen, über Vergleiche und Analogien gibt es im allegorischen Modus Aufschluss über die menschliche Natur. Das Tier kann aber auch die Alterität des Menschen figurieren. Der Blick des Menschen auf das Tier begegnet einer verrätselten Andersheit. Der Blick des Tieres gibt nichts preis. Seine Stummheit und Sprachlosigkeit entpuppen sich als Widerstand für die Sinnsuche. Mit Methoden menschlicher Wahrnehmung (Sehen, Hören) scheint man dem Tier nicht beizukommen. So wird das Tier in der Moderne zum Dispositiv einer vielfältigen Offenheit, die nur noch fragmentarische Sinnspuren erkennen lässt und für Experimente einer archäologischen Erkundung genutzt werden kann.
Die Suche nach dem Schlüssel zum Tierwort (französisch: animaux-animot) führt uns auf eine Spurensuche zu den Ursprüngen der Menschheit. Prähistorische Funde von Knochen und Versteinerungen geben Aufschluss über die mythischen Tierwesen vergangener Erdzeitalter. Die Höhlenmalereien der Iberischen Halbinsel und Südfrankreichs verraten etwas über verborgene Tiefenschichten der menschlichen Natur. Der Weg der darwinistischen Evolution spiegelt sich in der Begegnung mit niederen Tiergattungen. Das Tier entpuppt sich somit als Erkenntnisinstrument, um den Geheimnissen der Menschen und des Planeten näher zu kommen.
Der Schwerpunkt des Seminars liegt auf der französischen Literatur, es werden aber auch Beispiele aus der italienischen, spanischen und portugiesischen Literatur herangezogen. Die Grundlage bilden Texte aus mehreren Epochen, die teils ganz, teils in Auszügen rezipiert werden. Die Beispiele entstammen dem Roman, der Novelle, der Tierfabel, der Lyrik und dem Drama, daneben werden aber auch Werke der bildenden Kunst herangezogen (wie z.B. surrealistische Gemälde von Fischen, Frida Kahlos Selbstbildnisse mit Affen u.a.).
Im Rahmen des Seminars werden zwei Gastvorträge von Spezialistinnen stattfinden: Am 18.5. spricht Frau Prof. Fabienne Bercegol über „Die Rolle des Tieres in der Kindheitserzählung am Beispiel der Mémoires d’outre-tombe von Chateaubriand“ (Vortrag auf Französisch mit deutscher Simultanübersetzung). Am 15. Juni wird die Schriftstellerin, Theaterregisseurin und Wissenschaftlerin Lydie Parisse Beispiele aus ihrer eigenen Theaterproduktion vorstellen und interaktiv mit den Studierenden erproben.
Themen:
Empfohlene Literatur (zur Einführung):
- Agamben, Giorgio, L’aperto. L’uomo e l’animale. Torino: Bollati Boringhieri, 2002. (Dt. Übs.: Das Offene. Der Mensch und das Tier. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003.)
- Derrida, Jacques, L’Animal que donc je suis. Paris: Galilée, 2006. (Dt. Übs.: Das Tier, das ich also bin. Wien: Passagen, 2010.)
- Michel Pastoureau, Bestiaires du Moyen Âge. Paris: Seuil, [12011] 2020.
- Élisabeth Plas, Le Sens des bêtes. Rhétoriques de l’anthropomorphisme an XIXe siècle. Paris: Classiques Garnier, 2021.
Das Seminar findet in Präsenz statt, einige Sitzungen werden online durchgeführt. Die entsprechenden Daten hierzu werden in der ersten Sitzung des Semesters bekanntgegeben.
Die Lehrveranstaltung beginnt am 27. April.
Testat: Referat
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