PULS
Foto: Matthias Friel
Das Grundgesetz sichert den Religionsgesellschaften zu, ihre eigenen Angelegenheiten selbstbestimmt zu verwalten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wirkt sich diese Garantie auch auf privatrechtliche Arbeitsverhältnisse aus. Sie unterfallen qua Rechtswahl zwar dem säkularen Arbeitsrecht, aber die Ausstrahlungswirkung des religiösen Selbstbestimmungsrechts als institutioneller Konkretisierung grundrechtlicher Gewährleistungen erlaubt gleichwohl bereichsspezifische Anpassungen. Diese müssen im religiösen Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft begründet sein, um als Kollisionsrecht zum »für alle geltenden Gesetz« in der Güterabwägung eine Schutzwirkung für die Religionsgemeinschaften entfalten zu können. Ist das gegeben, schlagen sie sich in Freiräumen sowohl im Individual- wie Kollektivarbeitsrecht nieder. Die christlichen Kirchen haben diesen Gestaltungsspielraum genutzt, um ein Kirchliches Arbeitsrecht zu schaffen. Dieser – ungenaue – Terminus beschreibt jene kirchlichen Rechtsnormen, mit denen die Kirchen von den Möglichkeiten religionsspezifischer Ausformung des Arbeitsrechts Gebrauch machen. Seine gesellschaftliche Relevanz erfährt diese Adaption von Arbeitsrecht an den kirchlichen Kontext insbesondere dadurch, dass es den Kirchen unter verschiedenen Aspekten für ihre Arbeitsfelder zusteht, unabhängig davon, in welcher Rechtsform sie organisiert sind. Damit unterfällt nicht nur der überschaubare Bereich verfasster Kirchen, sondern der große Bereich gesellschaftlicher Aktivitäten in Diakonie, Caritas und Bildung den Möglichkeiten kirchenspezifischer Ausgestaltung. Zu den Kernelementen gehören individualarbeitsrechtlich die Möglichkeit, die Religionszugehörigkeit bei der Begründung von Beschäftigungsverhältnissen zu berücksichtigen und Mitarbeitenden bestimmte Loyalitätsobliegenheiten aufzuerlegen, die sich auch auf den Bereich des Privatlebens erstrecken, und kollektivarbeitsrechtlich eigene Formen der Mitbestimmung zu etablieren und Streiks weitgehend auszuschließen. Diese eigenen Regelungen sind nicht unumstritten. Während das Bundesverfassungsgericht sie – auch im Gegensatz zum Bundesarbeitsgericht – immer wieder bestätigt hat, und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sie grundsätzlich für konventionskonform hält, deutet sich in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union an, dass unionsrechtlich ein anderer Ansatz verfolgt wird. Aktuell kommt es im Fall ›Egenberger‹ möglicherweise sogar zu einer Konfrontation zwischen BVerfG und EuGH. Die Differenzierungen und Abwägungen zu dieser Thematik sind höchst examensrelevant.
Beginn des Seminars: Mittwoch, 11. November 2020, 14.00 Uhr bis 16.00 Uhr, danach wöchentlich jeden Mittwoch im Semester 14.00 Uhr bis 16.00 Uhr.
Ort des Seminars: Raum 2.32 im Haus 1
Kontakt: Dr. Rainer Rausch rainer.rausch@uni-potsdam.de
Weitere Informationen finden Sie hier: https://www.uni-potsdam.de/de/eikr/forschung-und-lehre/lehrveranstaltungen/wintersemester-2020/2021/arbeitsrecht
Innerhalb dieses Seminars können eine Bachelorarbeit geschrieben und ein Seminarschein als Zulassungsvoraussetzung für die Schwerpunktbereichsprüfung erworben werden.
Gliederung:
I. Grundsätze des Arbeitsrechts und grundlegende Charakteristika
1. Rechtsquellen des Arbeitsrechts
2. Individualarbeitsrecht
2.1. Anbahnung, Begründung, Inhalt und Beendigung von Arbeitsverhältnissen
2.2. Nicht disponible Gestaltungen des Arbeitsrechts (Arbeitnehmerschutzrechte)
3. Kollektives Arbeitsrecht
3.1. Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden
3.2. Dritter Weg
4. Koalitionsrecht als Teil des kollektiven Arbeitsrechts
4.1. Tarifvertragsrecht einschließlich Arbeitskampfrecht
4.2. Kirchliches Arbeitsrechtsregelungsgesetz durch den Dritten Weg
5. Betriebsverfassungsrecht und Mitarbeitervertretungsrecht
6. Arbeitsprozessrecht
6.1. Kirchliche Schlichtungen
6.2. Staatliches Arbeitsgericht auch bei kirchlichen Streitigkeiten
II. Geschichtliche Entwicklung des Arbeitsrechts
III. Regelungen des Arbeitsrechts im BGB
IV. Rechte und Pflichten des Arbeitnehmers im Arbeitsrecht
1. Arbeitnehmerbegriff
1.1 Deutsches Recht
1.2 Unionsrecht
1.3 Arbeitnehmer als Verbraucher i.S.d. § 13 BGB
2. Unterscheidungen bei Arbeitnehmerbegriff
2.1 Arbeiter und Angestellte
2.2 Leitende Angestellte
3. Abgrenzungen im Arbeitsrecht
3.1 Selbständige
3.2 Arbeitnehmerähnliche Personen
3.3 Heimarbeiter
3.4 Auszubildende
4. Abgrenzungen zu öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnissen
5. Abgrenzungen zu Organmitgliedern juristischer Personen
6. Abgrenzungen zu Tätigkeiten auf vereinsrechtlicher Grundlage
7. Mitarbeit von Familienangehörigen
V. Betriebsrat (staatlich) / Mitarbeitervertretung (kirchlich)
VI. Koalitionsfreiheit (Art. 9 III GG)
VII. Regelungsmechanismen im Arbeitsrecht
1. Vorrangprinzip: Unionsrecht (EUV/AEUV), Deutsches Verfassungsrecht, staatliches Gesetzesrecht bzw. Kirchengesetze, Regelungen in Tarifverträgen bzw. Beschlüssen der Arbeitsrechtlichen Kommissionen, Regelungen in Betriebsvereinbarungen bzw. Dienstvereinbarungen
2. Weitere Gestaltungsformen: Arbeitsvertragliche Einheitsregelungen, eine betriebliche Übung, Direktionsrecht (Weisungsrecht) des Arbeitgebers
VIII. Besonderheiten des Kirchlichen Arbeitsrechts
IX. Kirchliches Arbeitsrecht in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, des Bundesverfassungsgericht und der Gerichte Europas: EGMR und EuGH
X. Relevanz der Religion im rein säkularen Arbeitsrecht, insbesondere im Antidiskriminierungsrecht
© Copyright HISHochschul-Informations-System eG