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Foto: Matthias Friel
Die Jahre 1794 und 1795 markieren einen Wendepunkt der deutschen Philosophie: Im Mai beginnt Johann Gottlieb Fichte seine Lehrtätigkeit an der Universität Jena. Sukzessive erscheint ab Mitte Juni seine Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre als „Handschrift für seine Zuhörer”. Sie ist ein philosophisches Ereignis - neben der französischen Revolution und Goethes Wilhelm Meister Roman für Friedrich Schlegel eine der „größten Tendenzen des Zeitalters” (26. Athenäum-Fragment). Nach Fichtes eigenem Bekunden ist sie fest verankert in der Tradition der kantischen Transzendentalphilosophie. Friedrich Hölderlin, der sich bereits im Tübinger Stift (gemeinsam mit Hegel und Schelling) intensiv mit Platon, Spinoza und Kant befasst hat und im selben Frühjahr nochmals Kants Kritik der Urteilskraft (1790) studiert, bekommt zunächst die Grundlage in die Hand - und trifft im November 1794 in Jena ein. Dort besucht er regelmäßig Fichte Vorlesungen und hat auch persönlichen Kontakt zu ihm. Daneben verbringt er viel Zeit bei seinem Mentor Friedrich Schiller, der seinerseits seit 1789 an der Universität Jena unterrichtet. Schiller hat in eigenen Schriften selbst kantische Vorstellungen weiterentwickelt und steht Fichtes Philosophie anfangs wohlwollend, dann zunehmend distanziert gegenüber. (Persönlich kommt es zwischen den beiden im Juni 1795 zum Zerwürfnis.) In einer Reihe veröffentlichter und unveröffentlichter Schriften, die in der von Fichte beeinflussten Abhandlung „Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen” (veröff. ab Januar 1795) kulminiert, entwickelt er seine eigene ästhetische Anthropologie. In kritischer Auseinandersetzung mit diesen beiden geistigen Vorbildern gelangt Hölderlin während der Monate seines Aufenthaltes nun Jena zur ersten Formulierung einer ganz eigenständigen philosophischen Konzeption, an der er auch nach seiner rätselhaften Flucht aus Jena im Juni 1795 weiter arbeitet - und dabei das in Jena Gelernte u.a. an die Freunde Hegel und Schelling weitergibt. Im Mittelpunkt des Seminars soll eine philosophische Rekonstruktion der 12 Monate von Ende Mai 1794 bis Juni 1795 stehen, in denen alle drei Hauptprotagonisten in Jena lebten. Wir werden gemeinsam Texte von Fichte, Schiller und Hölderlin lesen, daneben aber auch Zeugnisse von anderen Zeitgenossen, die wichtige Beiträge zu dieser philosophischen Entwicklung geleistet haben, insbesondere natürlich Kant und Goethe. Die Veranstaltung findet als Zoom-Seminar statt. Studierende, die sich vor der ersten Sitzung (6.11.) im Moodlekurs registrieren, erhalten am Tag der ersten Sitzung eine E-Mail, die einen Link und ein Passwort zum geschlossenen Zoom-Meeting enthält. (Wenn Sie sich nicht im Moodlekurs einschreiben können, wenden Sie sich bitte direkt an mich (jhaag@uni-Potsdam.de).)
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