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Foto: Matthias Friel

Die Umwelt erzählen - 'Nature Writing' in der Romania zwischen Rousseau und Écopoétique - Einzelansicht

Veranstaltungsart Vorlesung Veranstaltungsnummer
SWS 2 Semester SoSe 2023
Einrichtung Institut für Romanistik   Sprache deutsch
Belegungsfristen 03.04.2023 - 10.05.2023

Belegung über PULS
03.04.2023 - 10.05.2023

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Vorlesung Mi 14:00 bis 16:00 wöchentlich 19.04.2023 bis 26.07.2023  1.09.1.12 Dr. Lenz  
Kommentar

Das Verhältnis von Mensch und Natur, Mensch und Umwelt ist seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts eine Frage verschiedenster politischer und philosophischer Debatten sowie künstlerischer und literarischer Projekte hinsichtlich der ökologischen Folgen (schwer-)industrialisierter Gesellschaften der Moderne und natürlich auch innerhalb der Romania. Doch die immer drängendere Debatten nach diesem aus der Balance geratenen Verhältnis hinsichtlich der globalen Erderwärmung und deren Folgen, verschmutzter Weltmeere und eines in seinen Konsequenzen immer problematischer werdenden Artensterbens stellen die dringende Frage nach dem genuinen Beitrag der Literatur zu einer kritischen Reflexion dieses Verhältnisses und der Entwicklung bewusster Lebensformen immer wieder neu.

In den Schriften von Philosophen wie Bruno Latour und im Gefolge der strukturalen Anthropologie eines Claude Lévi-Strauss bei Philippe Descola wurde dabei aus philosophischer und anthropologischer Sicht die der Frage nach einer bewussteren Sicht auf Natur und Umwelt letztlich zugrundeliegende Problematik erörtert, wie sich das Subjekt-Objekt-Verhältnis westlicher Prägung auf das funktionalistische Naturverständnis der Moderne mit all seinen fatalen Konsequenzen auswirkte, insofern dies in Gesellschaftsformen autochthoner und indigener Prägung nicht der Fall ist. Im literarischen Bereich beschäftigen sich parallel zu diesen philosophischen Überlegungen die Forschungsbereiche der Ökopoetik und Geopoetik als seit Beginn des 21. Jahrhunderts aus der Ökokritik hervorgegangene Strömungen der Literaturkritik mit der Darstellung von Natur, Umwelt und der nichtmenschlichen Lebenswelt (Tiere, Pflanzen) in literarischen Texten.

Doch reicht die Frage nach dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur weit zurück in die kultur- und literaturgeschichtliche Entwicklung eines Mensch-Umwelt-Dualismus, welcher Naturkonzepte aus einem rein funktionalistischen Zusammenhang in weitere Kontexte stellte, die frühestens seit der fortschreitenden Erschließung der Amerikas durch europäische Eroberer, Kolonisatoren, Missionare und Wissenschaftler sowie spätestens seit der Romantik neben der Natur als Erfahrung auch deren tiefere Zusammenhänge zu verstehen suchte und diese einerseits in mystisch-religiösen, andererseits in naturphilosophischen und naturwissenschaftlichen Denksystemen verortete und theoretisch erfasste. Mit der weiteren Entwicklung der von der positivistischen Philosophie geprägten und immer weiter ausdifferenzierten Naturwissenschaften und der ‚Entdeckung‘ der Naturgeschichte entstand in Europa so auch ein Gegensatz zwischen verschiedenen Zugängen zur den Menschen ‚umgebenden‘ Welt als Um-Welt sowie ein Naturverständnis zwischen analytischen und mystifizierenden Paradigmen, welches auch literarische Strömungen und Gattungen auf vollkommen unterschiedliche Weise zwischen konservativer (Natur-)Ideologie als Ort des modernekritischen Rückzugs bis zu progressiver Naturerschließung und -eroberung in Form von Expeditionsberichten und Abenteuerromanen zu prägen im Stande war.

Andernorts innerhalb der Romania und insbesondere in Lateinamerika und der frankophonen Karibik wurde die Frage der Natur ausgehend vom Erbe kolonialistischer Narrative des ‚Wilden‘ und ‚Unbewohnten‘ der Weite Amerikas sowie der Thematik von Marginalität und Zentralität der karibischen Archipele zu einem Teil kolonialismuskritischer Denkströmungen und literarischer Bewegungen, welche später gegen einen eurozentrisch dominierten Modernebegriff einen von transkulturellen Ansätzen geprägten relationalen (Glissant) sowie einen von indigenen Konzepten antikolonial und kapitalismuskritisch aufgeladenen Naturbegriff (Neruda) gegenüberstellten. Dieser Gegensatz zwischen konservativ-dualistischen und kritisch-relationalisierenden Sichtweisen auf Natur und Umwelt verschärfte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts und sollte sich in einem komplexen ökologischen Bewusstsein auch literarisch weiter ausdifferenzieren.

Die Vorlesung möchte in diesem Kontext einen kleinen Eindruck einer komplexen Thematik und davon vermitteln, wie sich in unterschiedlichen Bereichen der Romania diese Arten des Natur-Schreibens auf Grundlage unterschiedlicher philosophischer und poetologischer Konzepte entwickelten. Die Anfänge des Nature Writing im anglophonen Raum und der deutschen bzw. französischen Naturlyrik in naturphilosophischen Ansätzen der Aufklärung sowie in ihrer Verbindung zum Reisebericht gehören hier ebenso zu unserem Fokus wie die ganzheitlichen und mystifizierenden Ansätze der Romantik und Postromantik wie auch die vitalistischen und (natur-)idealistischen Ansätze des späten 19. Und frühen 20. Jahrhunderts. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts, mit der Entstehung eines ökologischen Bewusstseins auf breiter gesellschaftlicher Basis entstanden auch neue Arten des Schreibens und Dichtens über Natur, welche teilweise auf frühere Ansätze zurückgriffen, aber auch neue Medien und Formen gesellschaftlichen Diskurses wie Gender-bezogene und postkoloniale Fragen und Themen in eine neue Natur-Poetik übersetzten.

Literatur

Zum Mensch-Natur-Verhältnis aus anthropologischer und philosophischer Sicht:

Descola, Philippe: Par-delà nature et culture. Gallimard, Paris 2005.

Descola, Philippe: Diversité des natures, diversité des cultures. Bayard, Paris 2010.

Descola, Philippe: L’écologie des autres. L’anthropologie et la question de la nature. Éditions Quae, Paris 2011.

Latour, Bruno: Politiques de la nature: comment faire entrer les sciences en démocratie. Paris 1999.

 

Ökopoetik und Ökokritik:

Bate, Jonathan, Romantic Ecology. Wordsworth and the Environmental Tradition, London, Routledge, 1991.

Bate, Jonathan: The Song of the Earth, Cambridge, Harvard University Press, 2000.

Bonvalot, Anne-Laure. « L’écopoétique des Suds. Vers une communalité des mémoires afro-luso-hispaniques », in Gisèle Avome Mba, Élisabeth Oyane Megnier et Nicolas Mba-Zué (Éds.), Mémoire(s) et identité(s) en Afrique et en Amérique latine. Libreville. Oudjat. 2016, S. 421-43.

Buell, Lawrence. The Environmental Imagination : Thoreau, Nature Writing and the formation of American culture. Harvard University Press, 1995.

Buell, Lawrence. The Future of Environmental Criticism : Environmental crisis anf Literary Imagination. Wiley-Blackwell, 2005.

Coupe Laurence & Jonathan Bate (éd.), The Green Studies Reader : from romanticism to ecocriticim. London : Routledge, 2000.

DeLoughrey Elizabeth & George Handley, (dir.) Postcolonial Ecologies. Literatures of the Environment. Oxford : Oxford University Press, 2011.

Schoentjes, Pierre: Ce qui a lieu. Essai d’écopoétique, Marseille, Wildproject (Tête nue) 2015.

Westphal, Bertrand: La géocritique: réel, fiction, espace. Paris :Minuit (Paradoxe) 2007.

 

Klassiker unterschiedlichen Natur-Schreibens zwischen ökologischem Bewusstsein, Reisebericht, Naturdokumentation, Naturverklärung und Kolonialismuskritik:

Bucher, André: La Vallée seule (roman), 2013.

Glissant, Edouard: Poétique de la Relation, Paris, Gallimard, 1990.

Humboldt, Alexander von: Ansichten der Natur. 1. Auflage, Cotta’sche Verlagsbuchhandlung, Tübingen 1808.

Le Clézio, Jean-Marie Gustave : Raga. Approche du continent invisible. Paris, Seuil 2006.

Neruda, Pablo: Canto general, 1950.

Thoreau, Henry David: Walden; or, Life in the Woods, 1854.

Leistungsnachweis

Voraussetzung für einen Leistungsnachweis ist das erfolgreiche Bestehen einer Klausur am Ende des Semesters.


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Keine Einordnung ins Vorlesungsverzeichnis vorhanden. Veranstaltung ist aus dem Semester SoSe 2023 , Aktuelles Semester: SoSe 2024