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Foto: Matthias Friel
Obwohl das Gebet ein dominantes Merkmal der jüdischen Religion ist, obwohl die liturgischen Quellen seit biblischen Zeiten reichlich fließen (Psalter, Siddur und Machsor, Pijutim), obwohl das Religionsgesetz die Liturgie an erster Stelle normiert und diskutiert (Traktat Berachot), war das Gebet in der klassischen jüdischen Religionsphilosophie kein großes Thema. Ein besonders krasser Fall ist Moses Maimonides, der das Gebet in seinem Buch der Liebe kodifiziert und in seinem Führer der Verirrten als unzulängliche Ausdrucksform des religiösen Bewusstseins kritisiert.
Der Befund ist umso auffälliger als andere klassische Formen des jüdischen Denkens dem Gebet große Aufmerksamkeit schenken, so in den Gebetbuch-Kommentaren der Kabbalisten, gar nicht erst zu reden von den chassidischen Reflexionen zum Gebet. Zwar ist dieses sonderbare Desinteresse am Gebet bei modernen jüdischen Philosophen wie Franz Rosenzweig und Abraham Jehoschua Heschel nicht mehr festzustellen, wenn man aber bedenkt, dass das Gebet der Ort der jüdischen Theo-logie im Wortsinn ist, d. h. der Ort, wo Israel seinen Gott, dessen Wesen und Eigenschaften und Taten bekennt und verkündet, dann bleibt auch hier viel zu wünschen übrig.
Die deutsche Nachkriegs-Judaistik hat sehr viel zur systematischen und historischen Erschließung der Liturgie, besonders der Pijutim geleistet, was aber einem praktizierenden Juden noch fehlt, ist ein philosophisches Nachdenken über die Gebete, eine Philosophie des und der Gebete. Eben das soll in dieser Lehrveranstaltung an Beispielen aus dem Psalter, aus dem Siddur und Machsor und aus dem Pijut angegangen werden.
Die Veranstaltung findet hybrid statt in R. 1.15.1.08 und online:
https://uni-potsdam.zoom.us/j/63739137713Meeting-ID: 637 3913 7713Kenncode: 59079714
QuellenSiddur Sefat Emet von Wolf Heidenheim (EA 1799), Deutsch v. R. Selig Bamberger, Rödelheim 1922, 10. verbess. Aufl., Nachdrucke Basel: Victor Goldschmidt 1999 u. ö. Siddur Schma Qolenu, Deutsch v. R. Joseph Scheuer, Basel: Verlag Morascha, EA 1996 u. ö.Siddur Kol Ja’akow. The Complete ArtScroll Siddur, Englisch u. Komm. v. R. Nosson Schermann, Mesorah Publications 1984 u. ö. Machsor Schma Qolenu für Rosch Haschana und Jom Kippur, Deutsch v. A. Richter, R. J. Scheuer, Basel/Zürich 2002 u. 2006.
Literatur (Auswahl)Ben-Chorin, Schalom: Betendes Judentum: Die Liturgie der Synagoge. Münchener Vorlesung, Tübingen 1980.Casper, Bernhard: Das Ereignis des Betens. Grundlinien einer Hermeneutik des religiösen Geschehens, München 1998.Elbogen, Ismar: Der Jüdische Gottesdienst in seiner geschichtlichen Entwicklung, Frankfurt/M 1931, Nachdruck Hildesheim 1962. Grözinger, Karl Erich: Jüdisches Denken. Theologie – Philosophie – Mystik, 5 Bde., Frankfurt/New York 2004–2015.Henrix, Hans H.: Jüdische Liturgie. Geschichte – Struktur – Wesen (Quaestiones Disputatae Bd. 86), Freiburg i.a. 1986.Hirschhorn, R. Simon: Tora wer wird dich nun erheben? (Pijutim Mimagenza), Gerlingen 1995.Jacobs, Louis: Jewish Prayer, London 1962, 3. Aufl.Krochmalnik, Daniel: Die Psalmen in Moses Mendelssohns Utopie des Judentums, in: Erich Zenger (Hg.), Der Psalter in Judentum und Christentum (Herders Biblische Studien: HBS, Bd. 18), Freiburg u. a. 1998, S. 235-267.Ders.: Aus den Tiefen: Martin Bubers Aufstiegspsalmen im Dritten Reich, in: Im Gespräch. Hefte der Martin Buber-Gesellschaft 14 (2011), S. 48-59.Ders.: Das Gericht in der Liturgie der jüdischen Hochfeste, in: Ingrid Schoberth (Hg.), Urteilen lernen – Grundlegung und Kontexte ethischer Urteilsbildung, Göttingen 2012, S. 91-103.Ders.: Beten hinter Stacheldraht, in: Florian Bruckmann, René Dausner (Hg.), Im Angesicht der Anderen. Gespräche zwischen christlicher Theologie und jüdischem Denken. Festschrift für Josef Wohlmuth zum 75. Geburtstag (Studien zu Judentum und Christentum, Bd. 25), Paderborn i. a. 2013, S. 75-89. Ders.: „Aber wir preisen den Herrn!” Psalm 115 im Deutschjudentum von Moses Mendelssohn bis Arnold Schönberg, in: Eveline Goodman-Thau, Hans-Georg Flickinger (Hg.), Zur Aktualität des Unzeitgemäßen. Beiträge zum Jüdischen Denken. Reiner Wiehl zum Andenken, Nordhausen 2013, S. 141-174.Ders.: Hallelujah, in: D. Krochmalnik, H. H. Behr. K. Boehme, B. Schröder (Hg.), Gebet im Religionsunterricht in interreligiöser Perspektive, Religionspädagogische Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen, Bd. 5, Berlin 2014, S. 15-56.Ders.: Das Hallel als Komposition, in: Die Psalmen. Aus der hebräischen Bibel übersetzt von Rabbiner Ludwig Philippson, Freiburg 2017, S. 167-187.Ders.: Die Psalmen in der jüdischen Frömmigkeit am Beispiel des Sabbateingangspsalters, in: Bibel und Kirche. Die Zeitschrift zur Bibel in Forschung und Praxis 4/2020: Ins Gebet genommen. Erfahrungen im Spiegel der Psalmen, S. 219-225.Munk, Elie: Die Welt der Gebete, 2 Bde., Basel 1985 u. ö.Nulman Macy: The Encyclopedia of Jewish Prayer, Northvale, New Jersey 1993.Osten-Sacken, Peter von der, Rozwaski, Chaim Z. (Hg.): Die Welt des jüdischen Gottesdienstes. Feste, Feiern und Gebete (Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum, Bd. 29), Berlin 2009.Petuchowski, Jakob J.: Theology and Poetry. Studies in the Medieval Piyyut, London, Boston 1978.Petuchowski, Jacob J.: Die Liturgie als Thema der jüdischen Theologie, in: Kl. Richter (Hg.), Liturgie – Ein vergessenes Thema der Theologie? (Quaetiones Disputatae, Bd. 107), Freiburg 1989, S. 28-32.Schaeffler, Richard: Kleine Sprachlehre des Gebets, Trier 1988. Ders.: Gebet im Judentum. Eine Interpretation aus christlicher Sicht, in: Freiburger Rundbrief NF (2/2010), S. 82-97.
Vor- und Nachbereitung (unbenotet), Klausur (benotet)
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