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Foto: Matthias Friel
Mill wird oft als Paradebeispiel für den Utilitarismus angeführt. Dies scheint gerechtfertigt: Immerhin beansprucht Mill für sich, das Wort „Utilitarismus“ als erster verwendet zu haben. Bei genauerer Betrachtung ist aber nicht so klar, ob und inwiefern Mill der Tradition, der er mit der Charakterisierung als „Utilitarist“ zugeordnet wird, wirklich zweifelsfrei zugeordnet werden kann, und wie genau Mills Position kohärent ausbuchstabiert werden kann. So schreibt William James über Mill: „Mr. Mills habitual method of philosophizing was to affirm boldly some general doctrine derived from his father, and then to make so many concessions of detail to its enemies to practically to abandon it altogether.“ Und in der Tat würde diese Methode die Widersprüche gut erklären, die Mills Denken auf den ersten Blick zu prägen scheinen: Wie zum Beispiel passt die Behauptung, moralische und politische Entscheidungen sollten sich immer daran orientieren, welche Handlung dazu geeignet ist, die meiste Freude und das wenigste Leid hervorzubringen, mit seiner empathischen Verteidigung kategorischer Freiheitsrechte zusammen? Wie soll man die Behauptung aus dem Utilitarismus, die Erfahrenen wüssten, welche von zwei Freuden die wertvollere ist, mit seiner dezidiert antipaternalistischen Haltung aus Über die Freiheit in Einklang bringen? (Und lässt sich die Rede vom verschiedenen Wert von Freuden überhaupt mit dem hedonistischen Credo vereinbaren, dass ausschließlich die Freude selbst es sei, die Dingen Wert verleiht?) Wie kann Mill von uns fordern, die Freude aller im Blick zu haben, wenn er gleichzeitig anscheinend behauptet, wir seien letztlich immer durch die eigene Freude motiviert? Ist Mill also gefangen in einem Rückzugsgefecht um die Lehren seines Vaters (und Benthams), die er in dessen Verlauf durch Zugeständnisse verwässert und inkonsistent gemacht hat? Wenn nicht -- und davon bin ich überzeugt -- warum schreibt Mill dann auf die Weise, auf die er schreibt? Diesen Fragen werden wir im Seminar nachgehen. Obwohl wir uns dabei immer wieder auf Ausschnitte aus Über die Freiheit und Utilitarismus beziehen werden, wird der Schwerpunkt auf Texten und Textausschnitten liegen, die im deutschen Sprachraum etwas weniger rezipiert werden: Unter anderem seine Essays zu Coleridge und Bentham, Ausschnitte aus dem 6. Buch von A System of Logic und Teile seiner Autobiographie. Zum Teil werden diese Texte auf Englisch zur Verfügung gestellt. Das Seminar ist gut dafür geeignet, es begleitend zur Vorlesung Einführung in die Ethik zu besuchen, insofern es eine Vertiefung von Themen und Fragestellungen ist, die in der Vorlesung überblicksartig behandelt werden. Die Bereitschaft, sich durch mündliche und schriftliche Beiträge regelmäßig am Seminar zu beteiligen, ist Voraussetzung für das Bestehen.
Ich mache zur Zeit eine hochschuldidaktische Weiterbildung, in deren Rahmen didaktische und methodische Planung zu der Veranstaltung stattgefunden hat. Im Rahmen dieser Weiterbildung sind kollegiale Hospitationen vorgesehen, d.h. dass zu zwei bis drei Sitzungen Kolleg*innen in unser Seminar kommen werden, um mir im Anschluss Rückmeldung zu geben.
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