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Foto: Matthias Friel
Die Veranstaltung findet im Raum 1.02.2.01 statt.Die rabbinische Bibelauslegung ist regelgeleitet. Die bekanntesten Regelkanones sind die 7 Regeln des Hillel die 13 Regeln des R. Jischmael, d. s. die berühmten Schlosch Essre Middot HaTora Nidreschet BaHen, die in den Siddur Eingang gefunden haben die 32 Regeln des Rabbi Elieser ben R. Jose HaGlili. Im Laufe der Zeit sind weitere Aufzählungen dazugekommen, z. B. die 73 Regeln des R. Elasar von Worms (Sefer HaChochma) und die 613 (!) Regeln des R. Meir Leibusch Malbim, (Ajelet HaSchachar, Einl. z. Lev.-Kom.). Im Seminar geht es weniger um die technische Anwendung der Regeln, als um ihre hermeneutischen Implikationen. Welches Textverständnis steckt in den Auslegungsregeln? So setzen die meisten exegetischen Regeln voraus, dass die Tora ein vollkommener Text ist, dass in ihm nichts dem Zufall überlassen wurde und jedes Detail hochbedeutsam ist, insbesondere die Wiederholungen (Omnisignifikanz, Nullkontingenz, Nullredundanz). Die Gematrie, d. s. Operationen mit dem Zahlenalphabet, um ein weiteres Beispiel zu nennen, entwickelt sich im Mittelalter zu einer regelrechten Bibelmathematik Moses Cordovero zählt im Pardes Rimonim nicht weniger als 16 Gematrie-Regeln auf. Die Gematrie sieht den Pentateuch auch als Zahlengebäude und den Kommentator als Kryptanalytiker. Die moderne Bibelkritik hat alle diese Methoden und ihre hermeneutischen Voraussetzungen als Anachronismen entlarvt. Aber auch innerhalb des rabbinischen Judentums etablieren sich im Mittelalter neben dem ausufernden Drasch alternative Formen der Exegese, so die Literalexegese (Pschat) auf der einen, und die philosophische und mystische Allegorese, welche aufgrund eines Winkes (Remes), eine tiefere Bedeutung des Textes (Sod) ermittelt, auf der anderen Seite. Die mittelalterliche kabbalistische Formel des vierfachen Schriftsinns: PaRDeS (Akronym v. Pschat, Remes, Drasch, Sod) sucht die divergierenden Ansätze zu integrieren. Obwohl diese Lehre vermutlich christlichen Ursprungs ist, wurde die Formel Pardes bis zu Moses Mendelssohn und darüber hinaus zum Aushängeschild der jüdischen Hermeneutik. Kann der Pardes den Streit der Interpretationen schlichten? Welche Legitimität und welchen Wahrheitswert besitzt die rabbinische Hermeneutik heute noch? Solche Fragen werden im Seminar nicht ausgeklammert.
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