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Foto: Matthias Friel
Bitte beachten Sie, dass bei Präsenzveranstaltungen die Hygienebestimmungen eingehalten werden müssen. Um einen angemessenen Sicherheitsabstand zu gewährleisten, stehen in diesem Semester deutlich weniger Plätze in den Räumen zur Verfügung als gewöhnlich. Deshalb kann es kurzfristig zu Raumwechseln oder zu reglementierten Zulassungen kommen. Bitte erscheinen Sie nicht bei einer Lehrveranstaltung, wenn sie nicht zugelassen wurden.
Für weitere Informationen zum Kommentar, zur Literatur und zum Leistungsnachweis klicken Sie bitte oben auf den Link "Kommentar".„von den seltsænen liuten“ (HE, V. 2880) spricht der Erzähler, als er das Aufeinandertreffen von Herzog Ernst mit den Einwohnern von Grippa beschreibt. Die seltsamen Leute, das sind Wesen, die von den Füßen bis zum Hals, höfisch gekleidet, den deutschen Adligen gleichen, ab dem unmenschlich langen Hals aufwärts aber einen Kranichkopf besitzen. Der ‚Herzog Ernst‘ ist nicht der einzige Text des Mittelalters, in dem von derartigen Begegnungen erzählt wird. Immer wieder treten Ritter und Adelsfrauen in Kontakt mit Wesen, die wundern lassen – der in frisch abgezogene Häute gehüllte Waldmensch im Iwein –, die Erstaunen erzeugen – die amazonengleiche Camilla im Eneasroman–, die Unheil auslösen – Frauen mit Eberzähnen, die Artusritter verfluchen – oder Abscheu hervorrufen wie zornige Riesen, die einem Ritter die Haut vom Rücken peitschen. Unter dem Leitbegriff ‚Otherness‘ wird im Seminar danach gefragt werden, welche Differenzkategorien in mittelalterlichen Texten sichtbar werden und welche in Erzählungen durch Erzählerkommentare, Figurenzeichnung, Handlungsmotivationen, Figurenwahrnehmung fruchtbar gemacht werden. ‚Otherness‘ kann hierbei auch mit den Begriffen ‚Andersartigkeit‘ oder ‚Fremdartigkeit‘ umschrieben werden. Es handelt sich um eine Wahrnehmungskategorie: etwas – nicht man selbst, nicht etwas, das man kennt oder das ‚dazugehört‘– ist für den Betrachter ‚andersartig‘. Hierzu gehören Merkmale wie etwa Geschlecht, Hautfarbe, Religion, Stand, Alter, Nationalität, Herkunft, Rechtsstatus, Ansehen in der Gesellschaft oder Bildung. Zugleich ist ‚Andersartigkeit‘ auch eine Systemkategorie, insofern ein Individuum wie auch ein Kollektiv oder eine Gesellschaft sich selbst u. a. über Unterscheidung gegenüber dem ‚Anderen‘ bzw. den ‚Anderen‘ bestimmt. Typische Randfiguren oder sogar Ausgegrenzte der mittelalterlichen Gesellschaft wären etwa Nicht-Christen, Kriminelle, Henker, Prostituierte oder Leprakranke. ‚Andersartigkeit‘ ist zumeist aus philosophischer oder soziologischer Perspektive beschrieben worden, sodass zu Beginn des Seminars eine Auseinandersetzung mit grundlegenden Beiträgen von Alteritäts- und Intersektionalitätsforschern stattfinden wird. Zielpunkt ist jedoch stets der mittelhochdeutsche Text und seine Interpretation unter dem Leitbegriff der ‚Andersartigkeit‘. Wie ist ‚Otherness‘ in mittelalterlichen Erzähltexten eingeschrieben, dargestellt, erzählerisch fruchtbar oder sogar reflektiert worden? Hierbei ist es unumgänglich sich erstens der Alterität des Mittelalters, gemeint ist die generelle, also u. a. zeitlich, kulturell und sprachlich bedingte Andersartigkeit bewusst zu werden und zweitens die von unseren heutigen Differenzkategorien und –kriterien abweichenden Wahrnehmung und Darstellung von ‚Andersartigkeit‘ zu reflektieren. Ziel des Seminars ist es, aufgrund der Basis intensiver Lektüre und des eigenen Textverständnisses Interpretationsansätze unter dem Leitbegriff ‚Otherness‘ zu erarbeiten und in der gemeinsamen Diskussion auch den Umgang mit aktuellen Forschungspositionen zu erproben. Im Mittelpunkt des Seminars stehen ausgewählte Texte und Textauszüge, ein Reader mit Textauszügen und Forschungsbeiträgen wird per moodle bereitgestellt.
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