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Foto: Matthias Friel
Ziel dieser Vorlesung ist es, eine repräsentative Gesamtschau über die jüdische Religionsphilosophie in ihren entscheidenden Epochen und historischen Ausprägungen zu präsentieren. Die lange Traditionsgeschichte des Judentums ist mit den historischen Entwicklungen auf dem Gebiet der Philosophie zu solch hohem Maße verschränkt, dass sie ohne diese Bezüge für uns heutzutage kaum denkbar wäre. In der vorliegenden Vorlesung werden wir uns mit dem Reichtum dieser philosophischen Inhalte in der jüdischen Religion befassen. Dabei werden wir stets das Ziel verfolgen, zu einem besseren Verständnis der Tiefendimensionen des jüdischen Glaubens zu gelangen. Überdies zielt die Vorlesung darauf ab, den Studierenden der jüdischen Tradition zugrunde liegende mannigfaltige Zusammenhänge und Verknüpfungen mit den jeweiligen hellenistischen, frühchristlichen, muslimischen sowie protestantischen Weltanschauungen aufzuzeigen. Zugleich werden wir den Eigencharakter der jüdischen Religionsphilosophie herausarbeiten und im Blick behalten.
Insgesamt werden wir uns auf drei jüdische Geistesströmungen fokussieren: auf den jüdischen Hellenismus (Antike), den judäo-arabischen Rationalismus (Mittelalter) sowie auf die jüdische Aufklärung (Neuzeit):
Die erste Strömung, mit der wir uns beschäftigen werden, ist der jüdische Hellenismus und dessen intellektualisierte Auffassung der jüdischen Textgrundlage. Ausschlaggebend hierfür werden primär die tiefgründigen und für die christliche Entstehungsgeschichte enorm wirkmächtigen Pentateuchallegoresen des Philon von Alexandria (c. 15 v.u.Z–c. 50 n.u.Z.) sein. Zwei Abhandlungen werden wir zu diesem Zweck heranziehen: De vita contemplativa, wo Philon die jüdisch-alexandrinische Philosophensekte der Therapeuten idealisierend schildert; De opificio mundi, wo er eine spekulative Lesart des jüdischen Weltschöpfungsberichtes vorlegt. Anzusprechen wären in diesem Zusammenhang auch die Parallelen zur antiken rabbinischen Tradition mit der starken Umgestaltung des Judentums in eine gelehrsame Religion eines Intellektuellenvolkes.
Im darauffolgenden Teil der Vorlesung werden wir auf die neuplatonischen und aristotelischen Systeme zentraler sephardischer Denker zu sprechen kommen, die sich im muslimischen Kulturraum des Mittelalters entfalteten. Exemplarisch stehen dafür zwei Meisterwerke des judäo-arabischen Rationalismus: Salomon Ibn Gabirols (1020/21–1058) Fons vitae und Moses Maimonides’ (1135/38—1204) Führer der Unschlüssigen. Während Ibn Gabirol – in der jüdischen Kultur vor allem für seine hebräische Dichtung bekannt – ein universalistisches, neuplatonisches Gedankengebäude entwarf, formulierte Maimonides eine betont aristotelische Philosophie, deren Sinn er aus der hebräischen Bibel ableiten zu können glaubte. Im Rahmen unserer Diskussionen werden wir in grober Skizzierung auf die umfassende Wirkungsgeschichte dieser beiden paradigmatischen jüdischen Philosophen innerhalb der Hochscholastik hinweisen.
Im abschließenden Teil der Vorlesung werden wir uns der jüdischen Aufklärungsbewegung (Haskala) widmen. Dabei wird die Vorlesung in die zwei großen religionsphilosophischen Schriften der Haskala einführen: einmal in eine Grundschrift des modernen Judentums des Berliner Aufklärers Moses Mendelssohn (1729–1786) Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum(1783) und einmal in das historiographische, auf Hebräisch verfasste Werk Führer der Verwirrten der Gegenwart (1851) des prominenten, osteuropäischen Maskil Naḥman Krochmal (1785–1840).
Primärliteratur
Ibn Gabirol, Fons vitae. Lebensquelle. Kapitel I und II, Ottfried Fraisse (Hg. Und. Übers.), Freiburg 2009.
Naḥman Krochmal, Führer der Verwirrten der Zeit, A. Lehnardt (Hg. und Übers.), 2 Bde., Hamburg: Felix Meiner Verlag, 2012 (deutsche Übersetzung).
Moses Maimonides, Führer der Unschlüssigen, A. Weiß (Hg. und Übers.). Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1972.
Moses Mendelssohn, Jubiläumsausgabe. Hrsg. v. I. Elbogen, J. Guttmann, E. Mittwoch, A. Altmann, E. J. Engel, D. Krochmalnik u. a. Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog. 1972 ff.
Philon von Alexandria, Die Werke Philos von Alexandria in deutscher Übersetzung. 7 Bde. hrsg. v. L. Cohn, I. Heinemann, M. Adler, W. Theiler. Breslau, Berlin: De Gruyter. Nachdruck 1964.
Sekundärliteratur
Alexander Altmann, Moses Mendelsohn. A Biographical Study, London 1973.
Daniel Boyarin, Border Lines: The Partition of Judaeo-Christianity, Pennsylvenia 2004.
―, Abgrenzungen. Die Aufspaltung des Judäo‐Christentums, aus dem Engl. übers. Gesine Palmer, Berlin/Dortmund 2009.
Shmuel Feiner, Haskalah and History: The Emergence of a Modern Jewish Historical Consciousness, Oxford 2001.
Julius Guttmann, Die Philosophie des Judentums, Wiesbaden 1985.
Jay M. Harris, Nachman Krochmal. Guiding the Perplexed of the Modern Age, New York/London 1991.
―, Moses Mendelssohn. Ein jüdischer Denker in der Zeit der Aufklärung, Göttingen 2009
Daniel Krochmalnik, „Nachman Krochmal“, in: Andreas B. Kilcher u. Otfried Fraisse (Hg.) u. unter Mitarbeit v. Yossef Schwartz, Metzler Lexikon Jüdischer Philosophen: Philosophisches Denken des Judentums von der Antike bis zur Gegenwart, Stuttgart/Weimar 2003, S. 210–214.
―, „Das Zeremoniell als Zeichensprache: Moses Mendelssohns Apologie des Judentums im Rahmen der aufklärerischen Semiotik”, in Josef Simon u. Werner Stegmaier (Hg.), Fremde Vernunft. Zeichen und Interpretationen Bd. 4, Frankfurt am Main 1998, 238–285.
David T. Runia, Philo of Alexandria and the „Timaeus“ of Plato. 2. Aufl. Leiden: Brill, 1986.
―, „Philon von Alexandria“, in: RAC 27 (2015): S. 605–627.
Harry A. Wolfson, Philo: Foundations of Religious Philosophy in Judaism, Christianity and Islam, 2 Bde., Cambridge 1962.
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