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Foto: Matthias Friel
Der Kalte Krieg und die europäische Einigung werden meist als zwei separate Prozesse betrachtet, die jeweils eigenen Entwicklungsgesetzen folgten und wenig miteinander zu tun hatten. Entsprechend wurden sie in der politikwissenschaftlichen und zeitgeschichtlichen Forschungsliteratur bis vor kurzem auch meist getrennt voneinander behandelt. Diese Separierung hat ihre Gründe: Nachdem das Projekt einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in den 1950er Jahren gescheitert war, wurde die EG zu keinem Zeitpunkt ein eigenständiger Akteur in der Außen- und Sicherheitspolitik; dies blieb eine Domäne der Nationalstaaten. Umgekehrt mischte sich die NATO als wichtigste Institution des Kalten Krieges im westlichen Lager nicht in die Wirtschafts- und Außenhandelspolitik als zentrales Aufgabengebiet der EG ein.
Zugleich hat der russische Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 unser Gespür dafür geschärft, dass die europäische Einigung von den Ost-West-Beziehungen unmittelbar berührt wird. Das war auch vor 1989/90 der Fall. Es ist kein Zufall, dass die Anfänge des europäischen Integrationsprozesses während der ersten Hochphase des Kalten Krieges Anfang der 1950er Jahre erfolgten und dass sich die Intensivierung der Einigung mit den Römischen Verträgen 1958 vor dem Hintergrund verschiedener Krisen im Kalten Krieg (Suez, Ungarn, Chruschtschow-Ultimatum) entfaltete.
Das Oberseminar untersucht anhand zentraler Etappen des Kalten Krieges und der europäischen Einigung, in welchem Verhältnis zueinander diese beiden Fundamentalprozesse der internationalen Staatenbeziehungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts standen: Wie und wo wirkten sie aufeinander ein? Wann folgten sie jeweils eigenen Gesetzmäßigkeiten? Die Themen, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind reichen vom Marshall-Plan und der Entstehung der Nato über den Schuman-Plan, die deutsche Wiederbewaffnung, die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, Euratom und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, John F. Kennedys „Grand Design“, Charles de Gaulles alternative Vision eines Europa vom Atlantik bis zum Ural bis zur neuen deutschen Ostpolitik, dem Nato-Doppelbeschluss sowie der europäischen Dimension der Beendigung des Kalten Krieges mit der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Maastricht-Vertrag.
Wilfried Loth: Europas Einigung, Frankfurt am Main 2014; Kiran Patel: Projekt Europa. Eine kritische Geschichte, München 2018; James Sheehan: Kontinent der Gewalt. Europas langer Weg zum Frieden, München 2008; Bernd Stöver: Der Kalte Krieg, München 2003.
Studienleistung: Seminarbegleitende Lektüre von Forschungsliteratur und Quellen, Übernahme eines Referats (Präsentation mit PPT und Handout); Prüfungsleistung: Schriftliche Hausarbeit (20-25 Seiten).
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