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Foto: Matthias Friel
Judentum ist eine Gesetzesreligion: gut ist, was Gott gebietet (Micha 6, 8). Selbst Nächstenliebe wird nicht vom Herzen, sondern vom Herrn diktiert (Lev 19, 18). Urbild dieser Theonomie ist das verängstigte Volk am Fuß des donnernden Berges Sinai (Ex 20, 15 -17). Ein Rabbi liest den Ausdruck „am Fuß” (BeTachtit, Ex 19, 18) wörtlich: „unter” und meint: der Berg hätte über das Volk gehangen wie ein Kübel und Gott gedroht: „Wollt ihr die Tora empfangen, so ist es gut, wenn aber nicht, so ist hier euer Grab” (bShab 88a). Diese heteronome Auffassung wird aber schon an Ort und Stelle zurückgewiesen, weil die Übertretung aufgenötigter Gebote straffrei wäre. Die Gebote sind in der Bibel in der Tat „Paragraphen” eines freiwillig geschlossenen Bundes (Ex 19, 8; 24, 3), der mit „ganzem Herzen und ganzer Seele” erfüllt werden soll (Deut 6, 5). Es findet sich überdies die explizite Aussage, dass diese Gebote in aller Welt als weise und vernünftig erachtet werden würden (Deut 4, 6). Die Jüdische Ethik hat sich in ihren verschiedenen Spielarten seit jeher der Aufgabe verschrieben, die Vernünftigkeit des göttlichen Gesetzes darzutun. Die rabbinische Pflichten- und Normenethik systematisiert in Mischna und Talmud das göttliche Sollen, die mittelalterliche religionsphilosophische Tugend-, Güter- und Wertethik das entsprechende menschliche Wollen. Einer platonisch oder aristotelisch inspirierten Sozialethik steht eine neuplatonisch inspirierte Gesinnungsethik gegenüber, die das Gewicht von den äußeren Glieder- auf die inneren Herzenspflichten (Chowot HALewawot), von der Aktion auf die Intention (Kawana) verschiebt. Das Ideal der meisten jüdischen Moraltheologien ist die Verwirklichung der Gottebenbildlichkeit des Menschen durch die Nachahmung der göttlichen Eigenschaften (Middot, Ex 34, 6-7). Die entsprechende praktische Ethik (Mussar) ist eine Aszetik, d. h. eine Einübung in das Erklimmen der Stufenleiter zur Vollkommenheit und Heiligkeit. Als Beispiel dafür haben wir für das kommende Semester R. Moses Chaim Luzzattos (1707-1746) Traktat Weg der Frommen (Messilat Jescharim 1740) ausgewählt. Dieses mehr als hundert Mal aufgelegte und übersetzte Buch bringt das Kunststück fertig, von allen drei Richtungen des Judentums – den Maskilim, den Chassidim und den Mitnaggdim – geschätzt zu werden und kann als Klassiker der Jüdischen Ethik betrachtet werden.
Erster Vorlesungstermin: Mo 24.10.2022
Der Veranstaltungsort wurde geändert. Die Vorlesung findet in Haus 15, R. 1.01 statt.
Klausur
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