Menschliche Freiheit – Realität oder Utopie - Einzelansicht

„Ich stehe hier und kann nicht anders!“ soll Martin Luther vor dem Reichstag zu Worms erklärt haben, als er für die Verbreitung seiner Schriften zur Rechenschaft gezogen werden sollte. Aber stimmt das? Konnte er tatsächlich nicht anders handeln? Hätte er nicht dem Rat der Reichstagsmitglieder folgen und seine Schriften widerrufen können? Und falls Luther die Wahrheit sprach und nicht anders handeln konnte – wer oder was hat ihm diese Handlung dann auferlegt? Eine höhere Macht, sein genetisch vorbestimmter Charakter oder sein eigener, freier Wille?
Nicht nur das Leben Luthers war prall gefüllt von Entscheidungen. Unser aller Leben ist von ihnen gesättigt: angefangen bei der Auswahl unserer Kleidung für den Tag bis hin zur Auswahl unseres Studiengangs oder unserem:unserer Partner:in. Hierbei be-gleitet uns zumeist ein Gefühl der Selbstbestimmtheit. Wir glauben, unsere Entschei-dungen und Handlungen begründen und auf uns, als selbstbestimmte Wesen, zurück-führen zu können. Auch die Gesellschaft und die Rechtsordnung sprechen uns übli-cherweise eine moralische Verantwortung für unser Handeln zu. Wir empfinden einen Unterschied zwischen uns und programmierten Robotern – doch ist dem so? Sind wir anders als Roboter in unserem Denken und Handeln frei?
Ein neurowissenschaftliches Experiment unter der Leitung Benjamin Libets scheint aufzuzeigen, dass man sich bereits zu einer Handlung entscheidet, bevor man glaubt, sich dazu entschlossen zu haben. Der Zeitpunkt der neuronalen Entscheidung zu ei-ner konkreten Handlung spiele sich zeitlich vor der bewussten Handlungsentschei-dung ab. Aus diesen Ergebnissen schlossen nicht wenige, dass wir ebenso wie Robo-ter determiniert seien und unserer genetischen Festlegung nicht entfliehen könnten – unserer moralischen Handlungsverantwortung hingegen schon. Der freie Wille des Menschen? Nichts als eine Illusion.
Dass es nicht so einfach ist, werden wir gemeinsam in diesem Tutorium ergründen. Wir werden uns dem Begriff der Freiheit annähern und uns dabei in dem Spannungs-feld zwischen Determinismus und Libertarismus bewegen. Wir werden verschiedenen philosophischen Theorien zur menschlichen Freiheit begegnen (wie Harry Frankfurts oder Peter Beries) und der Frage nachgehen, ob sie bloße Utopie ist oder doch Reali-tät sein kann.
Ferner werden wir uns gemeinsam den handwerklichen Kompetenzen des philosophi-schen Lesens und Schreibens zuwenden und sie an philosophischen Fachtexten der Gegenwart trainieren sowie auf das Anfertigen von kleineren und größeren Schreib-arbeiten anwenden, die Sie im Philosophiestudium erwarten werden.

Die Fachliteratur zu der jeweiligen Sitzung wird auf Moodle bereitgestellt. Melden Sie sich hierfür bitte auf Moodle zum Kurs an (das Passwort erhalten Sie in der Einfüh-rungssitzung).
Anzuschaffende Lektüre: Filius, A./Mischer, S.: Philosophische Texte schreiben im Studium. Paderborn: UTB 2018. ISBN: 9783825246679, eISBN: 9783838546674.

Neben einer aktiven Teilnahme und der Vorbereitung der Fachtexte ist eine schriftli-che Leistung (Essay oder vergleichbare Leistung) im Umfang von insgesamt 5 Seiten auszuarbeiten.