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Foto: Matthias Friel
Seit der Antike werden Sprachmischungen und Sprachwechsel in der Literatur als ästhetisches Stilmittel genutzt, das oftmals auch eine politische Aussagekraft beinhaltet. So können Sprachwechsel z.B. zu einer realistischen Darstellung der Gesellschaft beitragen, indem sie beispielweise zur Authentifizierung von Milieuschilderung Figuren in Dialekt sprechen lassen oder soziale Unterschiede durch das Sprechen von ‚Fremdsprachen‘ markieren. In mehrsprachiger Literatur ist oftmals implizit auch ein Bezug zur Sprachpolitik der jeweiligen Zeit zu erkennen, sie kann Kritik an Einsprachigkeitsdogmen, Sprachbewertungen und -hierarchien oder auch der Forderung nach Leitsprachigkeit und Sprachreinheit beinhalten. Von daher geht die Beschäftigung mit Mehrsprachigkeit immer auch einher mit einer kritischen Analyse von Sprache als Mittel von Diskriminierung, Abwertung und Ausschluss ist gebunden an eine Analyse von Machtverhältnissen.
Im Literaturunterricht wird Mehrsprachigkeit als narratives Mittel zur Deutung literarischer Texte bisher nur sehr punktuell thematisiert. Gerade mit Blick auf die mehrsprachige und hybridkulturelle Schüler*innenschaft und Gesellschaft birgt das Thema jedoch großes Potenzial im Bereich der Identitätsbildung und der Enkulturation. Schüler*innen können erkennen, dass Mehrsprachigkeit von jeher die gesellschaftliche Normalität darstellt und auch in der Literatur dazu genutzt wird, Realitätsbezüge oder Figurencharakterisierungen ästhetisch zu modellieren.
Im Seminar werden wir Texte des 20. und 21. Jahrhunderts mit dem Fokus auf Mehrsprachigkeit analysieren und didaktisieren. Ausgewählt werden sowohl Texte, die zum Schulkanon und derzeit abiturrelevant sind, als auch Texte der Gegenwartsliteratur, die in der Schule noch nicht angekommen sind. Relevante Texte für das Seminar können Irrungen, Wirrungen von Theodor Fontane, Simultan von Ingeborg Bachmann, Die Stimmen von Marrakesch von Elias Canetti, Karagöz in Alamania – Schwarzauge in Deutschland von Emine Sevgi Özdamar oder Weil wir längst woanders sind von Rasha Khayat sein.
Dabei wird auch eine Verbindung mit dem Abiturthema „Sprache in gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen” vorgenommen.
Die regelmäßige Teilnahme am Seminar sowie das Interesse an Literatur und die Freude am Lesen werden vorausgesetzt.
Literatur:
Grätz, Katharina (2014). „Four o clock tea“ – „pour la canaille“ – „error in calculo“. Polyphonie und Polyglossie in Theodor Fontanes Gesellschaftsromanen. Komparatistik
Hodaie, Nazli; Rösch, Heidi; Treiber, Lisa Theresa (Hrsg.) (2024): Literarische Mehrsprachigkeit und ihre Didaktik. Tübingen: Narr Francke Attempto.
Kofer, Martina (2023): Literarische Mehrsprachigkeitsdidaktik: Potenziale für einen integrativen Deutschunterricht. In: Sigrid Thielking; Michael Hofmann; Miriam Esau (Hrsg.): Neue Perspektiven einer kulturwissenschaftlich orientierten Literaturdidaktik. Würzburg: Königshausen und Neumann 2023, S. 215-230.
Radaelli, Giulia: Literarische Mehrsprachigkeit: Sprachwechsel bei Elias Canetti und Ingeborg Bachmann. Berlin: De Gruyter 2011.
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